Cookie Consent by Free Privacy Policy Generator website Kann der Mensch gut sein? | Theatergemeinde metropole ruhr | Ihr Weg zur Kultur

Kann der Mensch gut sein?

Sapir Hellers Inszenierung von Bertolt Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan – Die Ware Liebe“ im Grillo-Theater

Die beiden Götter halten sich schon im Theatersaal auf, bevor das Stück beginnt, in rote Schürzen und ebenso knallige, hoch aufragende Kappen gekleidet. Sehen so Götter aus? Auch Samantha Ritzinger als Wasserverkäufer Wang steht schon auf der Bühne, mit einem Einkaufswagen voller Plastikflaschen, während die letzten Besucher ihre Plätze einnehmen. Wang spricht das Publikum an, versucht in einen Dialog über die Malaise der Wasserpreise zu treten und die Erwartung auf das Erscheinen der Götter in Sezuan zu lenken. Bis sich Hân Nguyên und Lene Dax als Götter zu erkennen geben, die sich hinunter zu zwei Kassen abseilen. Sezuan ist reduziert auf das üppig bestückte Einkaufsparadies eines 24/7-Supermarktes. Eigentlich sind die Wände grau, Projektionen gefüllter Lebensmittelregale suggerieren ein Bild des Überflusses. In den Supermarktgängen öffnen sich die Türen, die Darsteller erscheinen und schlängeln sich angekettet auf den schmalen Galerien.

Sogar die Figuren sind als Waren verkleidet: Samantha Ritzinger in einer Doppelrolle auch als Schreiner in einer Haferflockenpackung, Philipp Noack zuerst als Frau im Kartoffelnetz, später als der arbeitslose Flieger Yang Sun in einem Bonbonspender, die achtköpfige Familie, immer dargestellt von Christoph Heisler, der abwechselnd die Türen einer Box mit Knabbereien öffnet, nicht zuletzt der wie eh und je spielfreudige Jan Pröhl abwechselnd als Brokkoli und Käseecke. Viktor Reim, der hier verantwortlich für die Kostüme und auch für die Supermarkt-Videoproduktion zeichnet, hat hier einen guten Griff getan. In der Welt Sezuans wird alles zur Ware, persönliche Beziehungen werden auf ihre materielle Verwertbarkeit reduziert. Nur Shen Ten, die Prostituierte und von Wang gefundene einzig gute Person für die Götter, trägt kein Warenkostüm, obwohl sie sich ja selbst zur Ware macht. Shen Ten wird für ihre den Göttern gewährte Heimstatt reichlich mit Geld belohnt, sodass sie sich von ihrem Gewerbe lösen und einen Tabakladen übernehmen kann. Shen Te ist jedoch zu hilfsbereit und selbstlos für den Materialismus in Sezuan. Sie hilft, wo sie kann, nimmt die Großfamilie auf, leiht dem Flieger Geld und muss schnell feststellen, dass sie mit ihrem Caritasgedanken nicht überleben kann. „Gute Taten, das bedeutet Ruin!“ Durch diese äußeren Zwänge sieht sie sich gezwungen sich als ein Alter Ego den grundkapitalistischen Neffen Shui Ta zuzulegen. Hier bedient sie sich eines Kostüms aus Fleisch. Shui Ta ist ein egoistischer, profitorientierter Mensch mit einem ausgeprägten Sinn für den eigenen Vorteil. Shen Te hält diese Spaltung ihrer Persönlichkeit nicht durch und zerbricht an dem Konflikt des Strebens nach Güte und dem Warencharakter menschlicher Beziehungen. Wahre Liebe ist so unmöglich, wenn Beziehungen selbst zur Ware werden. Auch die beiden Götter müssen an diesem Antagonismus scheitern, Shen Te kann nicht durchgehend der gute Mensch von Sezuan sein. Im letzten Bild fahren sie in den Himmel auf und müssen sich und dem Publikum eingestehen, dass ihre Mission gescheitert ist. Ist Nächstenliebe möglich, was ist von Solidarität zu halten? Brecht scheint da sehr skeptisch zu sein, die Antwort muss, wie für das Epische Theater Brechts üblich, jeder selbst herausfinden. Die gut zweieinhalbstündigen Inszenierung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan – Die Ware Liebe“ ist vordergründig auf leichte Unterhaltung, Humor und Amüsement angelegt. Die Regie unter Sapir Heller und die Dramaturgie unter der neuen Co-Intendantin Christina Zintl verfällt aber nicht der Gefahr einer seichten Comedy und zwanghaften Aktualisierung. Kostüme, Bühne und Video sind funktional für die desillusionierende Botschaft Brechts. Eine gelungene Inszenierung eines vermeintlich angestaubten Stoffes und gleichzeitig ein gelungener Start der neuen Intendanz mit allein vier Premieren im Monat September! Das Publikum quittiert die Leistungen mit langanhaltendem Applaus.

Rainer Hogrebe

Der gute Mensch von Sezuan | © Nils Heck

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