Doktormutter Faust
Mit einer Überschreibung des Goethe-Klassikers „Faust“ startete das neue Schauspielteam unter der Leitung des Intendantinnen-Duos Selen Kara und Christina Zintl in die Spielzeit.
Im steten Austausch mit Kara hat die Schriftstellerin Fatma Aydemir das Stück geschrieben. Sie hat die Opferrolle Gretchens immer gestört – Konsequenz: Die Figur des Gretchens ist abgeschafft. Nun zur Inszenierung, die Selen Kara als Regisseurin verantwortet.
Auf einem Vorhang läuft die Projektion eines Menschen, der wie ein Embryo in einer Flüssigkeit treibt. Die Projektion wird stetig größer bis sich der Vorhang hebt und die in Nebel wabernde Bühne freigibt. Vom zentralen kreisrunden Podest kriechen drei Gestalten in Gothic-Kleidung aus dem Nebel hervor. Wie bei Goethes Vorspiel sind es Theaterdirektorin, Dichterin und eine lustige Person. Mit leichter Hand werden neben der Notwendigkeit der Figur Gretchens nahezu alle zurzeit gesellschaftlich diskutierten Themen angerissen.
Auftritt Dr. Magarete Faust im blauen Hosenanzug, vom Auftreten her ganz die erfolgreiche Professorin für Genderstudien. Aber die von ihrer Assistentin vorgelesenen neuen Hassmails machen deutlich, dass ihre Karriere droht zu enden. Durch die Finanzierung von Abtreibungsreisen hat sich Faust angreifbar gemacht und wird mit Entlassung bedroht. Da erscheint Mephisto und im fast freundlichen Geplänkel mit ihm reift in Faust die Erkenntnis, dass ihr bei aller Rationalität eine gewisse emotionale Erfüllung fehlt - eine Liebe fehlt. Mit dem geschlossenen Pakt erscheint ein pulsierender Granatapfel als Projektionsobjekt der Sinnlichkeit.
Da taucht er auch schon auf – Karim, gutaussehend, sexy – auf der Suche nach einer Doktormutter. Von Abschiebung bedroht ist die Doktorandenstelle für ihn existenziell. Trotz ihrer drohenden Entlassung nimmt Faust ihn als Doktoranden auf, um ihm näher zu kommen. Schließlich bricht sie die moralischen Schranken und nähert sich ihm entblößt. Karim schreckt zurück und zeigt Faust an, die schließlich im Kerker landet.
Wer ist hier eigentlich Opfer?
Großartig die Harmonie von Text und Regie, die einen großen Theaterabend bescheren. Besonders benannt seien vom gut aufgelegten Ensemble Bettina Engelhardt als Margarete Faust und Eren Kavukoglu als Karim.
Auf den frenetischen Applaus folgte endlich mal wieder eine Premierenparty im Cafe Central.
Unbedingt sehenswert.
Hans-Bernd Schleiffer