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„Ödipus Herrscher“ im Schauspielhaus Bochum

Die Kraft der Wahrheit

Eine weitgehend monochrome Bühne ohne jegliche Requisiten, hochglänzend und meistens rot ausgeleuchtet (Bühnenbild: Nadja Sofie Eller, Lichtdesign: Bernd Felder), an der Bühnenseite Mieko Suzuki mit synthetisch erzeugten, zuerst monotonen, dann anschwellenden Klangwellen, ein Videokubus schwebt von der Decke in den Bühnenraum, sieben Figuren, die nur scherenschnittartig im hinteren Teil der Bühne auf ihren Auftritt im Hellen nah der Bühnenrampe warten. Bedeutungsschwer auf den Tod verweisend werden erratisch Starenschwärme auf Videorückwand und Kubus eingespielt. Regisseur und Intendant Johan Simons hat mit seiner Frau Elsie de Brauw und den beiden Dramaturginnen Mieke Koenen und Susanne Winnacker so eine hermetische Spielsituation geschaffen, in der es nur um den jeweiligen Menschen, seine Verstrickung in Herkunft, Weissagung, Schicksal, Macht und begrenzter Erkenntnis geht.

Wenn das Bühnendrama um die beiden Protagonisten Ödipus (Steven Scharf) und Iokaste (auch Elsie de Brauw) beginnt, ist die Vorgeschichte von Orakelspruch, Verbannung des Ödipus, Ermordung des Laios, Heirat Iokastes und Übernahme der Herrschaft vom Interregenten Kreon längst geschehen. Das Spiel startet, weil Ödipus Theben von der grassierenden Seuche nur durch die Entlarvung des Mörders von Laios befreien kann.
Die Bühnenadaption der Sophokles Tragödie beschreibt den Weg vom Dunkeln ins Helle, und das nicht nur im Bühnenbild, sondern übertragen auf die Figur des Ödipus selbst. Es beginnt ein in zweistündiger Spielzeit für Ödipus schmerzhafter Prozess des Erkennens. Zu Beginn tritt er noch in Herrschermanier an die Bühnenrampe und fordert vom Publikum stellvertretend für den nicht vorhandenen Chor Informationen zur Aufklärung des Mordes an Laios. Wie in der griechischen Mythologie üblich, wird der blinde Theiresias (Pierre Bokma, sein Kostüm wirkt etwas unglücklich gewählt) zu Hilfe gerufen. Ein blinder Seher soll den Fall aufklären – welch makabre Ironie! Theiresias verliert sich zuerst nur in Andeutungen, gibt aber nach massiver Schuldzuweisung und Androhung durch Ödipus seine Kenntnis preis. Auch hier agiert Ödipus noch ganz im Herrscher-Habitus. Der Zweifel ist jedoch angelegt, und der lange, schmerzhafte Prozess der Selbsterkenntnis muss beginnen. Der Akt des Erkennens, die „Kraft der Wahrheit“ wird ihm zur Qual, die er jedoch durchstehen muss, um sein Reich von der Seuche zu befreien. Der korinthische Bote (Marius Huth) und zuletzt der Auftritt des einzigen noch lebenden Zeugen der Mordtat, des Hirten (Risto Kübar), bringen die Wahrheit ans Licht.

Der Absturz des sich selbst blendenden Ödipus vollzieht sich auch leibhaftig. Wenn er von der Bühnenrampe in den Zuschauerraum der ersten Reihe zu Füßen stürzt, verlässt er seinen vermeintlich sicheren Herrschaftsraum und begibt sich in die Hände der schon alles steuernden Mächte. Iokaste, die sich in Sophokles Drama selbst erhängt, antwortet auf Ödipus Aufforderung ihm nachzufolgen mit der schnöden Rückfrage "Ich?“. Hier bleibt die Wendung von Regie und Dramaturgie etwas unverständlich, denn eigentlich ist Iokaste Teil der Verstrickung und trägt genauso viel oder wenig Verantwortung für das Geschehene. Die Spielleitung öffnet hier einen Raum für unterschiedliche Interpretationen durch die Zuschauer: Wenn Iokaste quasi unversehrt überlebt, wird sie zur Schlüsselfigur des Spiels, in dem sie sich emanzipiert und für die Herrschaft entscheidet. Oder steht nicht doch, wie der Titel nahelegt, der schmerzhafte Erkenntnisprozess des Ödipus im Vordergrund. Auch ein "Oidipous“, der in einer neueren Übersetzung aus dem Griechischen als "der, der alles weiß“ genannt wird, weiß eigentlich nur begrenzt das, was höhere Mächte ihm an Erkenntnis zugestehen. Er kann so nur situativ entscheiden und daher auch nur tragisch enden. Zuerst erhält er durch die Begegnung mit der Sphinx alle Macht, verliert sie durch die Erfüllung des Orakelspruchs wieder komplett. Es wird uns die Begrenztheit des noch so omnipotent auftretenden Regenten aufgezeigt, vielleicht sogar ein Fingerzeig für die Autokraten in unserer Zeit. Steven Scharf spielt sich wuchtig in die Ödipus-Figur hinein. Sein Wahnsinn ist auch physisch fühlbar und nachvollziehbar, er führt das Publikum an seine Schmerzgrenzen heran. Elsie de Brauws Iokaste bleibt dagegen trotz des Sprachcoachings durch Roswitha Dierck etwas bemüht, "konstruiert“ und farblos. Die Inszenierung des Ödipus ist herausfordernd, zuweilen quälend, aber immer ergreifend. Wenn am Schluss in Brecht'scher Manier beim Publikum noch alle Fragen offen sind, ist es genau das, was modernes Theater bezwecken will.
Rainer Hogrebe

Stefan Hunstein, Pierre Bokma | © Michael Saup | Lizenz: Michael Saup

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