Erdbeben in Zeiten von Liebe und Gewalt - Mit Texten von Kleist und der amerikanischen Schriftstellerin bell hooks

Mit „All about earthquakes“ gelingt Regisseur Christoph Rüping ein Katastrophenszenario auf die Bühne des Bochumer Schauspielhauses zu bringen, das um das Schicksal zweier Liebenden kreist. Die Handlung orientiert sich an Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben von Chili“. Die adelige Dame Josephe verliebt sich unsterblich in den zwanzig Jahre jüngeren Jeronimo, den Hauslehrer ihres Sohnes. Die außereheliche Beziehung wird vom Bischof bzw. dem Vizekönig geahndet. Während die schwangere Josephe in ein Kloster verbannt wird, verbringt Jeronimo die Tage vor der Hinrichtung in einem Gefängnis. Ein heftiges Erdbeben zerstört die Mauern der jeweiligen Gebäude. Die beiden können mit ihrem inzwischen geborenen Sohn fliehen. Mit anderen Überlebenden genießen sie außerhalb der Stadt einige glückliche Tage. Es ist eine Gesellschaft der Nächstenliebe, wie sie von bell hooks in ihrer Utopie „All about love“ beschrieben wird. Einige Textstellen daraus werden eindringlich vorgetragen, untermalt von dem Haddaway Song „What is love, oh, baby don’t hurt me“ aus den 90er Jahren. Doch in diese Idylle bricht die Realität schneller ein als erwartet. Die Überlebenden der Naturkatastrophe fordern einen Priester auf, mit ihnen einen Dankgottesdienst zu feiern. In dessen Verlauf gibt der Vertreter der Kirche Josephe und Jeronimo die Schuld an dem Erdbeben, das als Gottes Strafe für ihren unsittlichen Lebenswandel gedeutet wird. Vom Mob der Gläubigen werden das Kind und die Liebenden brutal erschlagen. Die alte Gesellschaftsordnung ist wieder hergestellt. Von einem überragenden Ensemble gespielt, verbindet die Inszenierung die eigenen Texte mit zentralen Stellen aus der Novelle und schafft auf diese Weise ein Schauspiel, welches das Publikum anspricht und mit langem Applaus honoriert.
Karl Wilms