Cookie Consent by Free Privacy Policy Generator website Volker Löschs „AufRuhr“ als Uraufführung im Essener Grillo | Theatergemeinde metropole ruhr | Ihr Weg zur Kultur

Volker Löschs „AufRuhr“ als Uraufführung im Essener Grillo

Das Theater als moralische Instanz?

Wenn Sie einmal auf einer Theaterbühne stehen wollen, den "Brettern, die die Welt bedeuten“ (Friedrich Schiller), dann haben Sie mit dem Besuch des Stücks "AufRuhr“ die seltene Chance dazu. Das Publikum sitzt, situationsbedingt mit Abstand, auf Drehhockern in dem bis in den hinteren Teil freigegebenen Bühnenraum. An den Stirnseiten und zwischen den beidseitig platzierten Zuschauern spielen die Akteure engagiert, dramatisch sich verausgabend und manchmal fast artistisch. Auf den die Raumbühne einfassenden Projektionstafeln laufen Sequenzen fiktiver Außenaufnahmen sowie die Stellungnahmen der jungen Aktivisten und Aktivistinnen. Durch die Nähe zu den Akteuren auf der Bühne, durch Livevideos und direkte Ansprache kann sich das Publikum als Teil des Geschehens fühlen.

Die dargestellte "Welt“ teilt sich in zwei Sphären, die kleine Welt mit dem Stadterneuerungsprojekt Essen 5.0 und die große Welt mit den Themen Finanzkapitalismus, soziale Spaltung, fehlende Partizipation und Klimakrise. Regisseur Volker Lösch stellt den Wachstumsgedanken infrage und verknüpft das fiktive Bauprojekt Essen 5.0 (offensichtlich angelehnt an das Bauprojekt "Essen 51“ im früheren Kruppgürtel) mit globalen Wachstumsdogmen und seiner Forderung nach Systemveränderung.

In bekannter Schwarz-Weiß-Malerei gilt der ganze Essener Norden als Sanierungsfall, nur durch großflächigen Gebäudeabriss und ein privatwirtschaftliches Investitionsprogramm in Form einer neuen Stadt zu bewältigen. Im Süden Essens leben demnach die privilegierten, gut vernetzten Entscheider, so wie die einflussreiche Bauunternehmerin Haussmann (Laura Sundermann) und ihre Tochter Lena (Trixi Strobel), die sich aber mit Kopien der Baupläne auf die Seite der Widerständler stellt. Der ehemalige Bergmann Grube (!) (Jan Pröhl), die prekär lebende Deutsch-Kurdin Adile (Anna Bardavelidze), der Blogger und Hacker Dimitrij (Dennis Bodenbinder) leben natürlich im Norden, so das arg schematisierende Bild, das uns Volker Lösch zeichnet. Zwischen die Fronten der "Schlacht um Altendorf“ geraten der SPD-Oberbürgermeister Kühn (Stefan Migge) und die die Räumung des Essener Nordens exekutierende Polizei und Feuerwehr (stellvertretend Philipp Noack).

Es kommt bei der Räumung des Wohnungsbestands zum Widerstand der Bewohner, zum AUFRUHR und schließlich zur "Schlacht um Altendorf“. Die gerechte Sache muss siegen, die Bewohner des Nordens gewinnen mit Geschick und Kampfeskraft, der Oberbürgermeister scheut vor dem letzten Mittel, der Erteilung des Schießbefehls, zurück und wird vom Polizisten erschossen. Die Investorin van Velt (Janina Sachau) entwickelt sich beängstigend zynisch zur gewissenlosen "Heuschrecke“, zum "diabolischen Medium“ (Niklas Luhmann). Komplett dunkel gewandet entfremdet sie sich der Aufgabe Essen 5.0, pfeift auf die Investorengelder und zieht weiter auf der Suche nach dem nächsten Spekulationsobjekt, egal ob in Dubai oder Südamerika. Wie eine Kaskadeurin im Zirkus springt sie über die Bühne, dem Polizisten auf die Schulter, eine beeindruckende schauspielerische Leistung.
Lösch und die Co-Autoren (Christine Lang und Ulf Schmidt) lassen es dabei nicht bewenden. Im Schlussteil der Aufführung wird ein großer Bogen vom gescheiterten Investorenmodell Essen 5.0 zur gesellschaftlichen Utopie gespannt, nach der Devise "Der wahre Realist ist der Visionär“. Die jungen Aktivist*innen (lt. Schreibweise im Programmheft) entfalten ihr angestrebtes Klima-, Gesellschafts- und Partizipationsmodell in Videoeinspielungen. Im Stück rufen sie zur Enteignung der Wohnungskonzerne ("Wohnen ist keine Ware“), zum Widerstand gegen den weiteren Braunkohletagebau ("Die 1.5-Grad-Grenze verläuft vor Lützerath“) und angelehnt an den Ruhrkampf 1920 und an die Pariser Kommune, die „autonome Republik Ruhr“ aus. Ob diese moralischen Appelle an das Publikum überzeugen, muss der mündige Zuschauer selbst entscheiden. Informativ und spannend bleiben die Exkurse in den Essener Stadtraum, wie zum Steeler Wasserturm, dem Ort, an dem Angehörige der Reichswehr gegen Truppen der roten Ruhrarmee kämpften, und zum Gedenkstein, der für die Opfer bei den Reichswehrtruppen, aber nicht für die Opfer in der Arbeiterschaft steht.

Nach gut drei Stunden Spielzeit (mit zwei Pausen) überwiegend langanhaltender Beifall, sicherlich für die schauspielerische Leistung und die gewählten technischen Stil- und Formelemente auf der Raumbühne. Bei einigen ist aber auch eine Zurückhaltung spürbar; eventuell hat die inhaltlich-konzeptionelle Ausrichtung der Utopie dabei eine Rolle gespielt. "AufRuhr“ ist ein Stück politischen Theaters, dem eine Fokussierung auf nur ein zentrales Anliegen und ein größeres Maß an thematischer Verfremdung zum Zweck einer aktiven und kritischen Auseinandersetzung des Publikums mit dem Stoff gutgetan hätte.
Rainer Hogrebe

Anna Bardavelidze, Jan Pröhl, Dennis Bodenbinder, Trixi Strobel | © Birgit Hupfeld

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